Artikel-Serie: Primitive Reflexe

26. Mai 2022Thomas Weidauer
Artikel-Serie: Primitive Reflexe

Der Spinale Galant-Reflex

„Als frühkindlicher bzw. primitiver Reflex oder Primitivreflex wird in der Medizin ein typisches und reproduzierbares Reaktionsmuster auf gezielte äußere Reize bezeichnet. Diese Reflexe laufen ohne Beteiligung des Großhirns ab (…).“
- Wikipedia

In dieser Artikel-Serie möchten wir auf einzelne, häufig noch aktive - oder persistierende - primitive Reflexe eingehen. Dieses Mal, im vierten Teil, befassen wir uns mit dem Spinalen Galant-Reflex. Sollten Sie die Teile 1 bis 3 nicht gelesen haben, finden Sie beide auf unserem Blog. Nichtsdestotrotz hier nochmal eine kurze Rekapitulation zum Thema primitive oder frühkindliche Reflexe.

Primitive oder frühkindliche Reflexe entwickeln sich im Mutterleib und sind für das Überleben des Säuglings eine Notwendigkeit. Die Reflexe versorgen das Baby mit den Instinkten der Atmung, des Fütterns, des Schreiens und der Zuwendung. Abgesehen davon, dass diese Reflexe für einen der ersten Meilensteine in der Entwicklung sorgen - das Drehen des Babys auf den Bauch und zurück -, aktivieren sie auch Gene, die für das Wachstum und die Verknüpfungen von und im Gehirn sorgen und so weitere Meilensteine ermöglichen, so z.B. die Entwicklung von Grob- und Feinmotorik, Sprach- und Lesefähigkeit, visuelle und auditive Wahrnehmung und Verarbeitung.

Mit Zunahme der Muskelbewegungen und mittels sensorischer Stimulation werden im Gehirn neue Neuronen gebildet und Verbindungen zwischen Neuronen gestärkt, was immer mehr und komplexere Gehirnfunktionen ermöglicht. Da nicht mehr benötigt, werden die primitiven Reflexe nach und nach gehemmt. Unter Hemmung versteht man die Unterdrückung einer Funktion durch Entwicklung einer anderen Funktion bzw. höher/besser entwickelter, neuronaler Strukturen. Das geschieht nach ungefähr 3 bis 12 Lebensmonaten. Anstatt aber einfach zu verschwinden, werden sie integriert, d.h. sie werden „aufgestückelt” und unterliegen fortan der Kontrolle des Kortex.

Bewegt sich das Kind nicht ausreichend, bekommt auch das Gehirn nicht genug Stimulation und die Reflexe bleiben aktiv. Es findet also keine Integration statt und es entwickelt sich ein Hirnungleichgewicht, das zu neurologischen Störungen führen kann.

SGR = Spinaler Galant-Reflex

Der Spinale Galant-Reflex (oder auch nur Galant-Reflex) entwickelt sich bereits im zweiten Trimester (15.-20. Schwangerschaftswoche) und spielt eine wichtige Rolle während einer Spontangeburt. Die Wehen stimulieren den Lendenbereich, d.h. den unteren Rücken, des Babys, was eine Bewegung der Hüfte aktiviert und so die Bewegung durch den Geburtskanal unterstützt. Und auch später noch ist dieser Reflex wichtig, damit das Baby die für das Krabbeln und Gehen erforderlichen Bewegungen der Hüfte entwickeln kann.
Man kann den SGR ganz einfach auslösen, indem man mit einem Finger auf einer Seite der Wirbelsäule entlang streicht. Das aktiviert eine Bewegung der Hüfte zu der ausgestrichenen Seite und beugt das Bein.

Welche Rolle spielt der Spinale Galant-Reflex?

Der SGR ist wichtig für die Entwicklung des vestibulären Gleichgewichts und hängt auch mit der Blasenentleerung zusammen. Ein nicht oder nur einseitig integrierter SGR kann zu Rückenproblemen, u.a. auch Skoliose, führen.

Der SGR sollte nach ca. 5-9 Monaten integriert sein.

Wie zeigt sich eine Persistenz?

Konnte der SGR nicht integriert werden, ist also weiterhin aktiv, können sich eine Reihe von Symptomen zeigen, die mit dem vestibulären System, Bewegung, Muskeltonus und Blasenentleerung zusammenhängen. Hierzu zählen:
  • Bettnässen (nach dem 5. Lebensjahr)
  • Verdauungsstörungen
  • Überempfindlichkeit in Bezug auf Kleidung
  • Gefahr von Skoliose
  • Schlechte Haltung und Gangmuster
  • Koordination von Ober- und Unterkörper
  • Motorische Unruhe
  • Hyperaktivität
  • Schlechte Handschrift
  • Dyslexie

Wie kann der SGR integriert werden?

Spezielle Übungen können helfen, den Symmetrisch tonischen Nackenreflex zu integrieren und so Symptome zu lindern. Die Ergotherapie macht sich Übungen zur Reflexintegration zunutze.
Ein Beispiel ist der klassische Schnee-Engel: Das Kind liegt rücklings auf der Matte. Die Arme sind seitlich neben dem Körper und die Füße zusammen. Nun bewegt es Arme und Beine gleichzeitig nach oben bzw. außen; Hände bis ganz nach oben über den Kopf, dann wieder in die Ausgangsposition. Die Arme und Beine bleiben in Kontakt mit dem Boden. Nun bringt das Kind die Hände wieder nach unten und die Füße wieder zusammen und wiederholt die Bewegung, so als wollte es einen Engel im Schnee „malen“.

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