Artikel-Serie: Primitive Reflexe

12. Mai 2022Thomas Weidauer
Artikel-Serie: Primitive Reflexe

Der Symmetrisch Tonische Nackenreflex (STNR)

„Als frühkindlicher bzw. primitiver Reflex oder Primitivreflex wird in der Medizin ein typisches und reproduzierbares Reaktionsmuster auf gezielte äußere Reize bezeichnet. Diese Reflexe laufen ohne Beteiligung des Großhirns ab (…).“
- Wikipedia

Weiter geht es in unserer Artikel-Serie über einzelne, häufig noch aktive - oder persistierende - primitive Reflexe. Dieses Mal, in Teil 3, sprechen wir über den Symmetrisch Tonischen Nackenreflex (STNR). Sollten Sie die Teile 1 und 2 nicht gelesen haben, finden Sie beide auf unserem Blog. Nichtsdestotrotz hier nochmal eine kurze Rekapitulation zum Thema primitive oder frühkindliche Reflexe.

Neben erworbenen Reflexen, die durch Konditionierung erlernt werden, gibt es die angeborenen Reflexe, zu denen natürlich auch die frühkindlichen, oder primitiven, Reflexe, gehören. Wenn ein Kind geboren wird, ist das Gehirn noch nicht ausgereift bzw. vollständig entwickelt. Die frühkindlichen Reflexe helfen dem Säugling während der ersten Lebensmonate dabei, dass aus den unwillkürlichen Bewegungen durch fortschreitende Hirnreifung schließlich willkürliche und automatisierte Bewegungen werden können. Das findet in der Regel im Verlauf der ersten 12 Monate statt und die primitiven Reflexe verschwinden nach und nach.
Der Grund ist, dass im Verlauf der Entwicklung durch Muskelbewegungen und sensorische Stimulation neue Neuronen und Synapsen gebildet werden und die Reflexe schlicht nicht mehr benötigt werden. Sie werden gehemmt bzw. integriert und unterliegen fortan der Kontrolle des Kortex.

Bewegt sich das Kind nicht ausreichend, bekommt auch das Gehirn nicht genug Stimulation und die Reflexe bleiben aktiv. Es findet also keine Integration statt und es entwickelt sich ein Hirnungleichgewicht, das zu neurologischen Störungen führen kann.

STNR = Symmetrisch Tonischer Nackenreflex

Der STNR taucht in der Regel (erst) mit 6 bis 9 Lebensmonaten auf und ist wichtig, um in diesem Alter die nächste Entwicklungsstufe zu meistern, nämlich das Krabbeln. Der Grund ist, dass dieser Reflex für einen starken Muskeltonus in den Bereichen sorgt, die dem Baby helfen, aus der Bauchlage in den Vierfüßlerstand, also auf die Hände und Knie, zu kommen: Nacken- und Rückenmuskeln. Wenn es dieses Bewegungsmuster erlernt, fängt es gleichzeitig an, den Nacken zu strecken und zu beugen, also nach oben bzw. nach unten zu blicken. Das ist nicht nur wichtig, um das Sehvermögen, besonders die Fernsicht, zu trainieren, sondern bewirkt auch eine Reaktion in den Gliedmaßen. Wird der Nacken gestreckt, sieht das Baby nach oben und die Arme werden gestreckt, während die Beine das Gegenteil tun, nämlich gebeugt werden. Wird der Nacken nun gebeugt, blickt das Baby nach unten, die Arme werden gebeugt und die Beine gestreckt.

Der Symmetrisch Tonische Nackenreflex sollte mit ca. 11 Monate integriert sein.

Zusammengefasst kann man also sagen, dass der STNR für den Muskeltonus in Rücken und Nacken, die Körperhaltung und auch das Sehvermögen wichtig ist.

Wie zeigt sich eine Persistenz?
Konnte der STNR nicht integriert werden, ist also weiterhin aktiv, können sich eine Reihe von Symptomen zeigen, die mit Muskeltonus, Haltung, Sehvermögen und Kopfbewegung zusammenhängen. Hierzu zählen:
  • Schlechte Körperhaltung
  • Kein Krabbeln
  • W-Sitz (Zwischenfersensitz)
  • Tollpatschig/ungeschickt durch mangelnde Koordination
  • Probleme mit Aufmerksamkeit und Fokus
  • Schwierigkeiten beim Nah-Weit-Fokus
  • Schlechte Hand-Augen-Koordination
  • Probleme beim Lesen und Schreiben
  • Schwierigkeiten, von der Tafel abzuschreiben
  • Probleme, gerade und ruhig am Tisch oder auf dem Stuhl zu sitzen
  • Probleme mit der Schreibhaltung
  • Motorische Unruhe
  • Lernstörungen

Wie kann der STNR integriert werden?
Spezielle Übungen können helfen, den Symmetrisch tonischen Nackenreflex zu integrieren und so Symptome zu lindern. Die Ergotherapie macht sich Übungen zur Reflexintegration zunutze. Ein Beispiel ist die Übung „Katze“, bei der das Kind auf einer Matte die Vierfüßlerposition einnimmt - Hände und Knie sind auf der Matte, Rücken ist gerade. Jetzt bringt das Kind den Kopf nach unten, der Blick geht zwischen die Beine. Der Körper bleibt währenddessen unbewegt. Es ist eine einfache Kopfbewegung, das Kind bringt sein Kinn dabei zur Brust. Diese Position wird 5 Sekunden gehalten. Dann streckt das Kind den Kopf wieder so weit wie möglich nach oben, der Blick geht zur Decke. Auch diese Position wird 5 Sekunden gehalten. Oder Sie lassen ihr Kind, das vielleicht schon aus dem Alter raus ist, wieder krabbeln und nutzen dabei einen Hindernisparcours. Zusätzlich sind Augenübungen, die sich auf den Nah-Weit-Fokus konzentrieren, eine gute Hilfe. Das geht z.B. indem Sie den Blick des Kindes auf weit entfernte Objekte (ein Bild an der Wand) und nah liegende Objekte (vor ihm auf dem Tisch) im Wechsel richten.

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