Was war zuerst da - die AD(H)S oder der Rest?

30. Sep 2019Thomas Weidauer
Was war zuerst da - die AD(H)S oder der Rest?

So viel Verwirrung, so wenig Klarheit…Eltern von Kindern mit Entwicklungs- und/oder Verhaltensstörungen haben nicht nur einen schwierigen Alltag zu meistern, auch der Umgang mit Diagnosen, Therapiemodellen, Behandlungen und dem Umfeld bringt ungeheure Herausforderungen mit sich.

Diese fehlende Klarheit wird noch verstärkt durch mangelnde Aufklärung, zu starke Informationseinengung und Unklarheiten beim Gegenüber. Hat Ihr Kind ADHS, ADS, eine Störung des Sozialverhaltens, Entwicklungsverzögerungen, Tics oder alles zusammen? Natürlich ist das ein wenig überspitzt dargestellt, ab die Statistik besagt, dass ungefähr zwei Drittel der Kinder mit einer hyperkinetischen Störungen diverse, so genannte Komorbiditäten aufweisen.

Ko….was? Bei einer Komorbidität handelt es sich laut Wikipedia um ein „weiteres, diagnostisch abgrenzbares Krankheitsbild oder Syndrom, das zusätzlich zu einer Grunderkrankung (Indexerkrankung) vorliegt…es wird auch von Doppel- oder Mehrfachdiagnose gesprochen.“

Warum das wichtig ist? Nun, zum einen hilft es, eine Krankheit besser zu verstehen, besser abzugrenzen und demnach besser zu diagnostizieren und behandeln. Zum anderen hilft eine Fülle an Informationen rund um die Verhaltensweisen und Schwierigkeiten meines Kindes, mit den betroffenen Institutionen (Schule, Ärzte, Therapeuten) und dem Umfeld (andere Kinder, Eltern der Freunde etc.) in einen Dialog zu treten und Hilfsmaßnahmen kompetenter zu bewerten/implementieren.

Ohne nun zu sehr in diagnostische Richtlinien einzusteigen, kommen wir zu einigen Komorbiditäten:

* Störung des Sozialverhaltens
Kinder mit AD(H)S werden aufgrund ihrer fehlenden Impulskontrolle und starken Überaktivität häufig als unsozial und unfähig zu sozialen Bindungen angesehen. Das muss per se aber nicht so sein. Natürlich ist die Interaktion mit anderen Menschen erschwert, wenn das Verhalten aber weit über das „akzeptable“ Maß hinausgeht, spricht man eher von einer Störung. Genauer gesagt sprechen wir hier über erhöhte Aggressivität, starke Aufsässigkeit und Normabweichung, und die geht in dem Fall mit Tyrannisieren, Stehlen, Zerstören eigenen und fremden Eigentums, Schulschwänzen, Weglaufen etc. einher.

* Lernstörungen
Die in der Psychiatrie als Entwicklungsstörungen eingestuften Lernschwierigkeiten (Legasthenie, Dyskalkulie) treten nicht nur allein als Schulproblematik auf, sondern meist auch in Verbindung mit AD(H)S. Diese Schwierigkeiten machen nicht nur den Schulbesuch zu einem schwierigen Unterfangen, auch die Hausaufgaben werden zum Ritt auf dem Pulverfass.
Ein weiterer Bereich sind hier übrigens auch die Motorikstörungen. Das bedeutet, dass Ungeschicklichkeit zum täglichen Erscheinungsbild gehört. Sie äußert sich durch häufig Stürze und grobmotorische Entgleisungen, im Bereich der Feinmotorik zusätzlich in Form einer unleserlichen Schrift.

* Tic-Störungen
Bestimmt aber Sie schon einmal vom Tourette-Syndrom gehört. Diese Tic-Störung ist ziemlich selten und eine chronifizierte Version einer komplexen Tic-Störung. Die einfachen vokalen oder motorischen Tics, die sich einzeln oder getrennt zeigen können, treten in der Kindheit auch bei „gesunden“ Kindern gelegentlich mal auf und verschwinden von ganz allein wieder. Aber stereotypes Räuspern, plötzliche Laute, Zuckungen im Gesicht, Blinzeln oder Grimassieren sind eben auch eine häufige Begleiterscheinung von AD(H)S.

* Zwänge
Zwanghafte Gedanken und Handlungen gehören zu den Störungen der Impulskontrolle, eine Problematik, die ein Kind mit AD(H)S nur allzu gut kennt. In der Realität sind es ganz häufig extrem ritualisierte Handlungen, wie eine bestimmte Anordnung am Tisch oder ein systematisches Sortieren der Spielsachen. Eingriffe in diese Rituale oder das Ordnungssystem werden nur schlecht verkraftet und resultieren meist in einem emotionalen Chaos.

* Angststörungen
Man spricht davon, dass ungefähr ein Viertel der Kinder mit AD(H)S unter starken Ängsten leidet. Und das ist wichtig, zu wissen, da diese stillen Symptomatiken neben den „lauten“ Symptomen eben kaum zu vernehmen sind und das Verhalten eines Kindes mitbestimmen.

* Psychosomatische Beschwerden
Allergien, Bauch- und Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und Schlafstörungen sind ganz häufige Beschwerden, die zum einen mit Medikamenten (wie Methylphenidat) in Verbindung stehen, zum anderen aber auch durch die Problematik und den Alltag selbst hervorgerufen werden.

* Depressionen
Die zweite, stille Symptomatik, die schon fast wie eine logische Konsequenz erscheint, ist die Depression. Kinder mit AD(H)S ecken an, leiden unter geringem Selbstbewusstsein und fühlen sich häufig als Versager. Dieser Eindruck wird durch fehlende Freundschaften, schlechte Noten, Streitereien und viele Behandlungen verfestigt und bestätigt. Ein Teufelskreis.

Obwohl wir uns hier auf Kinder beschränken, soll nicht unerwähnt bleiben, dass die meisten Komorbiditäten auch im Erwachsenenalter bestehen bleiben, ergänzt vielfach durch Substanzmissbrauch (Alkohol), Eigen- und Fremdgefährdung durch risikoreiches Verhalten, Persönlichkeitsstörungen, Somatisierungsstörungen, Suchtverhalten und Suizid.

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